ÜBER DIE ROLLE DER BERUFSGENOSSENSCHAFTEN FÜR DEN SICHEREN BETRIEB VON FLURFÖRDERFAHRZEUGEN
Flurförderfahrzeuge – darunter besonders Gabelstapler – sind in den verschiedensten gewerblichen Umfeldern bedeutende und meist unverzichtbare Arbeitsmittel. Ihre Leistungsfähigkeit macht es überhaupt erst möglich, Lasten mit hohem Gewicht und in großen Stückzahlen in den für moderne Anforderungen notwendigen Zeiträumen effizient zu bewegen. Aus diesem Grund zählen Flurfördergeräte im Zusammenspiel mit normierten Paletten zu den wichtigsten Erfindungen der modernen Arbeitswelt.
Die Fahrzeuge bergen jedoch auch gewisse Risiken. Sie können große Schäden verursachen – sei es durch Fehlbedienungen oder aus verschiedenen Gründen vermeidbaren technischen Ausfällen.
Um das Schadpotenzial auf ein unvermeidliches Restrisiko zu reduzieren, befassen sich die Berufsgenossenschaften (BG) beziehungsweise die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) mit dem Thema des gewerblichen Einsatzes von Flurförderfahrzeugen im Allgemeinen und Gabelstaplern im Besonderen. Zu ihren Aufgaben zählt deshalb unter anderem die Einschätzung von möglichen Gefahren und das Entwickeln und Herausgeben entsprechender Vorschriften und Regularien.
DIE DEUTSCHE SOZIALVERSICHERUNG UND DIE GESETZLICHE UNFALLVERSICHERUNG
Die Rolle der Berufsgenossenschaften (nicht nur bezogen auf Flurfördergeräte) lässt sich kaum erklären, ohne auf das generelle Prinzip der deutschen Sozialversicherung einzugehen. Im Rahmen dieses Systems soll unter anderem sichergestellt werden, dass keine in Deutschland ansässige Person in gesundheitlicher Hinsicht ohne Schutz dasteht.
Was das Thema Unfälle und Krankheiten anbelangt, die nicht mit der reinen Freizeitgestaltung zusammenhängen, so greift die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV – nicht zu verwechseln mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV) – und zwar bereits seit 1883.
- Auszubildende,
- Beschäftigte,
- Lernende in beruflicher Fortbildung und
- Selbstständige (freiwillige Mitgliedschaft)
befinden sich in beruflicher Hinsicht, wie sie zum Thema Flurförderfahrzeuge relevant ist, unter dem Schutzdacht der GUV. Insgesamt zählen dazu 15 unterschiedliche Personengruppen allein bei den Pflichtversicherten, darunter Schüler und Studierende. All diese Menschen sollen durch die GUV vor, nach und gegen Arbeitsunfälle(n) sowie Berufskrankheit geschützt werden.
Durch den prinzipiellen Aufbau des GUV-Systems agiert jedoch der Staat nur als Gesetz- und Auftraggeber. In der Praxis werden sämtliche Aufgaben rund um Information, Kontrolle und die Abwicklung von Arbeitsunfällen durch die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt. Hierbei spielen die Berufsgenossenschaften eine wichtige Rolle.
BERUFSGENOSSENSCHAFTEN UND DGUV: IM ZUSAMMENSPIEL FÜR DEN SCHUTZ
Berufsgenossenschaften stellen dabei einen Teil der Trägerschaft der GUV dar – in diesem Fall sind sie zuständig für die gesamte Privatwirtschaft sowie, über Umwege, die Land- und Forstwirtschaft. Sie sind allesamt als selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert und finanzieren sich mehrheitlich durch die im Rahmen der Pflichtmitgliedschaft erhobenen Beiträge.
Wichtig für eine zielgerichtete und ökonomische Auftragserfüllung ist die Ausrichtung der Berufsgenossenschaften. Zu diesem Zweck werden sie nach Branchen bzw. wirtschaftlichen Zweigen gegliedert. Etwa die BGHM als Berufsgenossenschaft für den Gesamtbereich Holz und Metall oder die BG Bau, zuständig für die gesamte Bauwirtschaft. Aktuell (2022) gibt es in Deutschland neun eigenständige Berufsgenossenschaften.
Diese Aufteilung ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil die Themen Berufsunfall/Berufskrankheit in den jeweiligen Branchen eine unterschiedliche Relevanz besitzen und sich vor allem teils völlig anders ausprägt: In einem Bergbaubetrieb etwa unterliegen die Mitarbeiter völlig anders gelagerten Risiken als in einer mittelständischen Schreinerei.
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung bildet in dieser Konstellation das Dach der Berufsgenossenschaften. Dieser eingetragene Verein ist der gemeinsame Spitzenverband aller gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie der Unfallkassen, die für die Angestellten des öffentlichen Dienstes zuständig sind.
UNFALLVERHÜTUNGS- UND DGUV-VORSCHRIFTEN IM ÜBERBLICK
Die Aufgabenbereiche der Berufsgenossenschaften sind zweigeteilt. Zwar umfassen diese auch die Entschädigung von Versicherten (oder Hinterbliebenen) bei einem Arbeitsunfall. Die noch wichtigere Aufgabe der BG besteht jedoch darin, sicherzustellen, dass es überhaupt erst gar nicht so weit kommen kann, also kein Schaden eintritt. Aus diesem Grund unterliegen die Genossenschaften einem sehr weitreichenden Zwang, einen Präventionsauftrag zu erfüllen.
Dieser umfasst nicht zuletzt das
- Aufstellen,
- regelmäßige Überprüfen und
- ständige Aktualisieren
von Unfallverhütungsvorschriften (UVV) beziehungsweise DGUV-Vorschriften – sowie die Überwachung von deren Einhaltung in den jeweiligen Betrieben. Diese Vorschriften werden zwar nicht von einem parlamentarischen Gesetzgeber erlassen, haben aber durch die gesetzlichen Befugnisse und Pflichten der BG beziehungsweise der DGUV im Rahmen der Gesetzlichen Unfallversicherung den Charakter eines autonomen Rechts. Dies bedeutet, sie haben eine ebensolche verpflichtende Natur wie jede andere Rechtsvorschrift. Zudem wird jede dieser Vorschriften vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales überprüft und genehmigt – weder BG noch DGUV können also völlig auf eigene Verantwortung agieren.
Hier gibt es zudem einen hierarchischen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Regelwerken:
- DGUV-Vorschriften: Sie stellen letztlich „nur“ das Dokument selbst dar.
- Unfallverhütungsvorschriften: Sie beinhalten das konkrete inhaltliche Regelwerk für einen bestimmten Sachverhalt.
- DGUV-Regeln: praxistaugliche Hinweise für die Umsetzung von DGUV-Vorschriften
- DGUV-Grundsätze: Grundsatzregeln und Prüfvorschriften, die Inhalte von DGUV-Vorschriften konkretisieren
- DGUV-Informationen: ergänzende Hinweise und Empfehlungen zu allen anderen Regelwerken
Im Kern sollen all diese Vorgaben dort greifen, präzisieren oder sich für die jeweilige Branche spezialisieren, wo die grundsätzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes beziehungsweise davon abgeleiteter Verordnungen enden. Ein Beispiel veranschaulicht dies:
- Das Arbeitsschutzgesetz gilt als oberstes, allgemeines Rahmenwerk.
- Die Baustellenverordnung gilt als davon abgeleitetes Regelwerk speziell für Baustellen.
- Die DGUV-Vorschrift 38 ergänzt die Regelungen und gibt mit der Unfallverhütungsvorschrift Bauarbeiten ganz konkrete, detaillierte Vorgaben.
Wichtig: Bis vor einigen Jahren wurde im offiziellen Sprachgebrauch statt von DGUV- noch von Berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen, Vorschriften etc. gesprochen. Sofern sich an den Dokumenten nichts änderte, behalten diese im Zuge der Vereinheitlichung als DGUV-Werke zwar ihre Gültigkeit, sind aber oftmals (im Dokument selbst) noch falsch bezeichnet. Die DGUV hat hierzu eine Liste erarbeitet, die alte und neue Bezeichnungen gegenüberstellt und beim Umschlüsseln behilflich ist.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es allerdings gestattet, die beiden Begriffe DGUV-Vorschrift und Unfallverhütungsvorschrift synonym zu verwenden, sofern damit die Regularien für einen bestimmten Sachverhalt gemeint sind. In diesem Sinne ist es deshalb völlig unproblematisch, von Unfallverhütungsvorschriften für Gabelstapler zu sprechen, selbst wenn diese alle unter einer konkreten DGUV-Vorschrift zusammengefasst werden.
UNFALLVERHÜTUNGSVORSCHRIFTEN- UND ANDERE DGUV-WERKE BEZOGEN AUF FLURFÖRDERFAHRZEUGE
Viele Unfallverhütungsvorschriften und ähnliche Dokumente gelten nur im Bereich der jeweiligen Berufsgenossenschaft – schlicht, weil einige Gefahren nur in bestimmten Branchen bestehen, in anderen jedoch nicht. Dort allerdings, wo Gefahren branchenübergreifend auftreten, besteht durchaus für Berufsgenossenschaften die Möglichkeit, Unfallverhütungsvorschriften und weitere Maßgaben übergreifend zu nutzen und sie auf diese Weise mit anderen (oder gar allen) Genossenschaften zu teilen.
Flurförderfahrzeuge sind hierfür ein gutes Beispiel:
- Die Arbeitsgeräte existieren in unterschiedlichsten Ausführungen vom manuell betätigten Hubwagen bis zum großen und geländegängigen Teleskopstapler.
- Aufgrund der Arbeitsweise und nicht zuletzt wegen der großen Verbreitung von Paletten werden Flurförderfahrzeuge in zahlreichen Branchen genutzt, selbst in solchen, die nicht primär mit Logistik zu tun haben.
Die wichtigsten DGUV-Werke, die sich auf Flurförderfahrzeuge im Allgemeinen und Gabelstapler im Besonderen beziehen, sind deshalb an keine einzelne Berufsgenossenschaft gebunden. Sie finden vielmehr komplett branchenübergreifend immer dort ihre Anwendung, wo solche Geräte in einem gewerblichen bzw. beruflichen Umfeld genutzt werden.
Die diesbezüglich zentralen Regelwerke sind die folgenden:
- Die DGUV-Vorschrift 68 Flurförderfahrzeuge: Sie ist das bedeutendste Werk und gilt für sämtliche Flurfördergeräte, die wenigstens über eine Hubeinrichtung verfügen – unabhängig davon, ob sie mit Muskelkraft oder durch einen Motor angetrieben werden. Das heißt, herkömmliche Hubwagen („Ameise“) fallen hierunter ebenso wie jede denkbare Bauform von Gabelstaplern. Unter anderem ergehen aus diesem umfangreichen Werk auch die wichtigsten Vorgaben für technische Überprüfungen dieser Geräte.
- Die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 2111 Teil 1 Mechanische Gefährdungen – Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen beim Verwenden von mobilen Arbeitsmitteln: Hierbei handelt es sich um eine von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin herausgegebene Regel, die sich generell mit eigen- und fremdangetriebenen Arbeitsmitteln befasst – darunter auch Flurförderfahrzeuge.
- Der DGUV-Grundsatz 308-001: Ausbildung und Beauftragung der Fahrer von Flurförderfahrzeugen mit Fahrersitz und Fahrerstand: Dieses Werk ist sozusagen der Rahmenausbildungsplan, aus dem hervorgeht, wer unter welchen Umständen Gabelstapler und vergleichbare, angetriebene Flurfördergeräte mit Sitzgelegenheit in einem betrieblichen Umfeld bedienen kann und darf.
- Die DGUV-Information 208-004: Gabelstaplerfahrer: Sie informiert (kurz) über Auswahl und Ausbildung von Gabelstaplerfahrern und geht davon ausgehend umfassend auf den sicheren Betrieb, Gesundheitsbelastungen sowie Schutz- und Warneinrichtungen ein.
- Die DGUV-Information 240-250: Handlungsanleitung für die arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 25 „Fahr-, Steuer und Überwachungstätigkeiten“: Eine kurz zusammengefasste Übersicht bezüglich Rechtsvorschriften, arbeitsmedizinische Untersuchungen und Arbeitsverfahren bzw. -bereiche.
Bei den genannten Werken handelt es sich um die wichtigsten unfallverhütenden Vorgaben, die sich konkret auf Flurförderfahrzeuge beziehen. Allerdings gibt es darüber hinaus noch weitere Vorgaben, die zu beachten sind. Sie sind allgemeiner gehalten, beinhalten durch ihre Natur jedoch Flurförderfahrzeuge und hierbei vor allem Gabelstapler. Wichtig in diesem Zusammenhang sind etwa
- die DGUV-Vorschrift 79: Verwendung von Flüssiggas (unverzichtbar für gasbetriebene Stapler),
- die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 554: Abgase von Dieselmotoren oder
- die DGUV-Information 208-020: Transport und Lagerung von Platten, Schnittholz und Bauelementen.
Insgesamt listet die DGUV weit über hundert verschiedene Regelwerke, in denen immer wieder Informationen zu finden sind, die für den Betrieb von Flurförderfahrzeugen relevant sind. Gerade für kleinere Betriebe, in denen Flurfördergeräte nur ergänzende Arbeitsmittel sind, ergeben sich daraus sehr viele Informationen, die zu beachten sind. Allerdings gibt der Erfolg dem Prinzip der umfassenden Information absolut Recht: Im gesamten Jahr 2018 kam es in Deutschland lediglich zu fünf tödlichen Unfällen im Zusammenhang mit Flurförderfahrzeugen. Da es davon hierzulande mehrere Millionen in sämtlichen Ausprägungen im gewerblichen Einsatz gibt, ist dies durchaus ein guter Wert.
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